Ikkyû Sôjun: Wenn man nirgendwo hingeht

Rebloggt von Nitya

Wenn man nirgendwo hingeht,
ist jeder Weg der richtige.
Viele Wege führen den Berg hinauf,
doch nur ein Mond streift seinen Gipfel.

aus: Ikkyû Sôjun, „Gedichte von der Verrückten Wolke“

Wenn man nirgendwo hingeht, hat man kein Ziel vor Augen. Und doch ergeht man seinen Weg, indem man ihn geht, ohne zu wissen, wo er einen hinführt. Da jeder Weg der richtige Weg ist, kann man vergnügt seines Weges gehen, ohne sich irgendwelche Sorgen machen zu müssen. Man geht diesen Weg sogar, wenn man glaubt, man hätte sich selbst diesen Weg ausgesucht und man sei es selbst, der den nächsten Schritt tue. Man geht diesen Weg selbst, wenn man dem Rat eines sog. Fachmanns folgt und nun glaubt, den richtigen Weg gefunden zu haben.

„Viele Wege führen den Berg hinauf, doch nur ein Mond streift seinen Gipfel.“ Ein Mond – eine Metapher für das Ungeteilte. Hätte ich jetzt „Gott“ gesagt, hätte ich, und nicht nur in den abrahamitischen Religionen, sofort Gegenwind zu erwarten in Form der Frage, welchen Gott ich denn damit meine. Für die meisten gibt es nur einen Gott und das ist nun mal ihr Gott. Und das ist immer ein Gott als höchste Person. Da waren ja etwa die Griechen und die Römer noch gut dran mit ihrem Götterallerlei und einem Tempel für den unbekannten Gott. Das waren zwar auch alles Personen, aber sie durften alle relativ friedlich nebeneinander existieren. Zen weiß nichts von einem Gott als Person. Deswegen wird es gern von den Theisten als gottlose Irrlehre bezeichnet. Zen ist jedoch nicht einmal eine Lehre. Es ist die Freiheit von allem, was benannt oder beschrieben werden könnte. Es ist die Freiheit von jedem objektiven Denken. Es ist auch nicht Nichts, denn selbst dieses Nichts wäre wieder ein Objekt. Der Weg den Berg hinauf führt in Richtung zum „Licht des Mondes“. Doch selbst auf dem Gipfel des Berges, auf dem der Mond schon ganz nah erscheint, ist er nicht zu fassen. Michael Barnett hat einmal geschrieben, dass es gleichgültig sei, von wo aus du den Sprung zum Mond wagst. Ich würde es nicht Sprung nennen, denn selbst bei diesem Sprung bist du als scheinbare Person noch im Spiel. Es ist dein Verschwinden, worum es geht. Vielleicht das Verschwinden im Sprung? Es kann sicher auch ohne einen Sprung geschehen. Und das ist nicht machbar. Es ist die endgültige Kapitulation als Person, die vielleicht nur für einen Augenblick zu diesem völligen Verschwinden führt.

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